Auch im Coronajahr 2021 fand unser Österreich-Trainingslager im Lechtal vom 9.10.2021-16.10.2021 unter besonderen Umständen statt.
Doch nicht nur die Umstände, sondern auch die Erfahrungen waren, wie eigentlich immer, einzigartig.
Doch wie fasst man sieben Tage, in denen man so viel erlebt und gelernt hat in einem kurzen Bericht so zusammen, dass jemand anders einen Eindruck davon bekommen kann?
Genau diese Frage habe ich mir beim Schreiben dieses Berichts gestellt. Sicherlich könnte ich jetzt einfach die einzelnen Ereignisse wiedergeben, jedoch konnte ich mich mit dieser Form des Schreibens nie so wirklich anfreunden. Es kommt mir so vor, als würden durch die einfache Wiedergabe wichtige Inhalte des Gelernten und der Erfahrungen, die wir machen durften, in den Hintergrund rücken.
Also werde ich mich an einer Definition des Begriffes Trainingslagers versuchen, in dem Sinne was ein Karatetrainingslager für mich selbst bedeutet. Und vielleicht können sich darin ja Einige von euch wiedererkennen.
Für mich setzt sich ein Trainingslager in der Karateschule immer aus drei Teilen zusammen. Als Erstes steht natürlich die körperliche Betätigung und das physische Training im Vordergrund. Das ist für die meisten Leute wahrscheinlich der Aspekt, den sie am ehesten mit dem Begriff Trainingslager verbinden würden.
Auch dieses Jahr wurde ausdauernd und fleißig trainiert. Bereits vor dem Frühstück trainierten wir jeden Tag mindestens eine Stunde lang. Manchmal mit Partner, um die Ausführung unserer Techniken zu verbessern, oft liefen wir Kata und einige Male trainierten wir mit dem Bo (Ein langer Stock aus Holz, der als Waffe genutzt wird). Dabei lernten wir nicht nur richtige Stellungen einzunehmen oder möglichst starke Techniken zu machen, sondern auch, Haltung zu bewahren, sich selbst zurückzunehmen und so anzugreifen, dass der Partner auch die Möglichkeit hat, seine Technik zu verbessern. Bereits am zweiten Tag kam ich selbst körperlich zunächst an meine Grenzen. Da ich ziemlich schlecht geschlafen hatte, war ich schon nach dem Frühtraining sehr erschöpft, da wir den ganzen Morgen lang die Tekki Shodan übten, eine Kata, die in einer sehr tiefen Stellung gelaufen wird. Der Zustand meiner körperlichen Erschöpfung änderte sich erst beim dritten und letzten Training des Abends, ich schätze der eiskalte Wind bei dem wir trainierten, brachte meinen Kreislauf wohl wieder in Schwung. Natürlich wusste ich, dass die nächsten Tage wohl genauso anstrengend werden würden und zum Glück konnte ich dann auch ausreichend schlafen, sodass ich die Anstrengung der nächsten Tage auf mich nehmen konnte. So waren auch 50 Bassai Dai am Stück und die schwankenden Temperaturen (von Minusgraden morgens und abends bis zu 15-20°C mittags) FAST kein Problem mehr und auch das (Wieder)erlernen neuer/alter Bokata ging uns allen mehr oder weniger leicht von der Hand.
Der zweite wichtige Aspekt der dieses Trainingslager für mich geprägt hat, war, die Beschäftigung mit den Hintergründen des Karate, zum besseren Verständnis meiner Haltung und meiner Bewegungen. Denn natürlich gehört es im Karate auch dazu, sich mit sich selbst und seiner Kampfkunst zu befassen. Dieser Teil ist fast noch wichtiger als der körperliche Aspekt, obwohl die meisten Menschen wahrscheinlich eher Diesen mit dem Wort Karate verbinden würden. Neben den Hintergründen der einzelnen Kata, die wir jederzeit in einem der vielen Bücher nachlesen konnten, die Udo mitgebracht hatte, stand er uns auch für ein Gespräch über uns selbst und unsere Haltung zur Verfügung.
Auch für Diskussionen gab es immer Raum und es stand Jedem offen, seine eigene Meinung zu einem Thema zu äußern. So entwickelten sich beispielsweise ausschweifende Diskussionen aus einer Frage zu der unterschiedlichen Haltung von Männern und Frauen, wenn sie bedroht werden, die letztendlich in einem Gespräch über politische Parteien endete. Manchmal habe ich mich gefragt, was der ein oder andere Einwand überhaupt noch mit der ursprünglichen Frage zu tun hatte, aber im Endeffekt war es doch sehr interessant, die Standpunkte der anderen kennenzulernen und einen neuen Blickwinkel auf das ein oder andere Thema zu bekommen. Diese Möglichkeit zum Gespräch, die ich doch dem trockenen Lesen von Fakten eher vorziehe, habe ich in diesem Trainingslager zum ersten Mal richtig genutzt. Die unbegründete Angst etwas Falsches zu sagen, die ich in den vorherigen Trainingslagern oft hatte, war verschwunden. Ob es daran lag, dass ich älter geworden bin und verstanden habe, dass es hierbei so etwas wie „falsch“ nicht gibt, oder ob es an den Personen und der durchgehend entspannten Atmosphäre lag, die in diesem Trainingslager zu spüren war, kann ich nicht sagen, aber durch die offenen Diskussionen habe ich mich sehr wohl gefühlt, wodurch auch das Miteinander fast immer harmonisch war.
Das führt mich zu meinem letzten und wichtigsten Aspekt in diesem Trainingslager, dem besseren Kennenlernen meiner Mitübenden und Übungsleiter. Da wir in diesem Trainingslager nur acht Personen waren, die alle schon mindestens sieben Jahre in der Karateschule sind, war die Atmosphäre sowohl beim Training als auch bei den anderen Aktivitäten sehr gemeinschaftlich, wodurch es Einiges zu lachen gab, wenn es zum Beispiel um das exponentielle Wachstum des „Schnuggelberges“, die berufliche Zukunft einiger Übender oder um österreichische Lieder und Fernsehserien ging. Aber auch seriöse Gespräche konnten geführt werden, da jeder den Anderen ernst genommen hat, sei es nun im kleinen Kreis, im Zimmer oder in der großen Runde mit allen zusammen. So diskutierte man eben gut und gerne über die Sinnhaftigkeit von Wellnessspa`s, konnte aber genauso gut über Gruppenzusammenhalt in der Gemeinschaft und die Notwendigkeit der Mithilfe aller beim Abräumen des Tisches sprechen. Genauso vielfältig waren die Themen auch bei unseren Ausflügen zur Sommerrodelbahn, zum Essen oder zum Wandern gehen. So hatte auch jeder seine eigenen (Miss)erfolge. Sei es nun, sich zu trauen, eine Gabel voll Salat zu essen oder in den Schnee geworfen zu werden, ob einem vor Kälte die Füße fast abgefroren wären, nur damit man ein cooles Foto hat oder ob man seine Fähigkeit für das Posten von Instagram Storys entdeckte, jeder von uns hat, glaube ich, Erfahrungen in diesem Trainingslager gemacht, die er nicht missen möchte, seien sie nun gut oder schlecht, denn die Momente (und die Fotos vielleicht auch), waren die ganze Aufregung und Anstrengung auf jeden Fall wert.
Ob Kartoffelschneiden (auch wenn es Verletzte gab) oder Espresso kochen lernen, zwei unbewusste Prüfungen zum blauen Gürtel, coole Fotos im Schnee, riesige Pizzen, Speck mit Erstickungsgefahr, Germknödel, Liebestunnel, Zucker auf dem Boden oder schlammverschmierte Schuhe, in diesem Trainingslager ist wirklich so Einiges passiert.
Doch eine weitere Besonderheit, die es so in noch keinem Trainingslager gegeben hatte war, dass wir unser Handy mitnehmen mussten, um einen Nachweis über den bestehenden Coronaimpfschutz vorweisen zu können. Eigentlich sind Handys ein No-Go im Trainingslager und das aus gutem Grund. Sinn des Trainingslagers ist es eigentlich, sich auf sich selbst, den Moment im Hier und Jetzt und die Menschen zu konzentrieren, die man gerade um sich herum hat. So war auch das eine neue Erfahrung für alle, die unterschiedlich genutzt wurde. Während die Einen das Handy zum Fotos machen benutzten, nahmen es Einige fast gar nicht in die Hand, und wieder andere wurden beim Zocken erwischt. Für mich persönlich ist das Handy eher ein störender Faktor gewesen, auch wenn es in gewisser Hinsicht ganz praktisch gewesen ist, um Informationen mit Menschen auszutauschen, die nicht dabei waren. Trotzdem ist es meiner Meinung nach ohne Handy aus den oben genannten Gründen sinnvoller, man kann sich besser auf sich selbst und den Moment konzentrieren und steht nicht ständig unter dem Druck irgendwelche Nachrichten zu lesen, weil man ja etwas verpassen könnte. Wahrscheinlich wird es sowieso das Einzige Trainingslager unter diesen besonderen Umständen gewesen sein, wenn Corona nächstes Jahr hoffentlich eingedämmt ist.
Alles in Allem kann ich also sagen, dass es ein sehr erfolgreiches Trainingslager in vielerlei Hinsicht war. Ich hatte die Möglichkeit, meine Mitübenden (noch) besser kennenzulernen, mein Karate zu hinterfragen und Neues zu lernen. Für mich war das „Rezept“ für ein erfolgreiches Trainingslager also auf jeden Fall gegeben. Die kleine Gruppe gab mir auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, mich selbst zu öffnen und ich habe das Gefühl, auch in meinem Training und meiner Haltung Fortschritte gemacht zu haben.
So geht eine anstrengende aber auch schöne Woche voller neuer Erfahrungen zu Ende und ich hoffe, dass wir es alle schaffen, das Gelernte auch im Training weiterhin umzusetzen.
Arwen